Benachrichtigungen
Alles löschen

"Verwahrlosung" akzeptieren?

3 Beiträge
2 Benutzer
0 Likes
8,110 Ansichten
Beiträge: 2
Themenstarter
(@chrissuma)
Beigetreten: Vor 3 Jahren

Hallo, ich bitte um Ihre Meinung, da ich mich recht hilflos fühle... Meine 76-jährige Schwester, mindestens mittelgradige Demenz, lebt seit 6 Monaten im Pflegeheim. Nach eigenen Angaben fühlt sie sich dort "sehr wohl" (glaubt aber, dies sei ihre Wohnung, das Wort "Heim" darf man nicht erwähnen). Sie reagiert oft sehr aggressiv, bisher aber zum Glück nur verbal. Sie verweigert grundsätzlich die Körperpflege. Wir vermuten, dass sie ab und an alleine duscht. Sie lässt sich die Haare nicht waschen oder bürsten, so dass sie bereits verfilzt sind. Die Fußnägel sind überlang, die Fußpflege wurde aber "rausgeworfen". "Ich kann das alles alleine" sagt sie, tut es aber nicht.... Seit nunmehr 2 Monaten(!!) trägt sie Tag und Nacht (!) die gleiche Kleidung, eine Legging und ein Shirt - natürlich übersät mit Flecken vom Essen u.a. (sie ist auch inkontinent). Bisher lies sie zumindest noch zu, dass die Bettwäsche (fast täglich sehr verschmutzt) vom Pflegepersonal ausgetauscht wurde, seit einigen Tagen aber auch dies nicht mehr. Sie lehnt jegliche Hilfe vom Pflegepersonal oder von mir ab! Das Pflegepersonal sagt, dass es gesetzlich festgeschrieben sei, das jeder Mensch (auch) ein Recht auf Verwahrlosung habe - solange die Person sich nicht selbst oder andere schädigt.

Wir wissen nicht, wie das weitergehen soll... Alles vorsichtige und natürlich liebevolle Zureden hilft nicht. Sie hatte schon immer einen starken Willen. Dringend notwendige Medikamente lehnt sie ebenfalls ab, werden in der Toilette entsorgt. Der Heim-Arzt schreibt nun keine Rezepte mehr.

Am schlimmsten ist für uns, die Verwahrlosung mit anzusehen. Wie geht man damit um? Soll man es akzeptieren? Was könnte man tun?

Hilflose Grüße!

2 Antworten
Beiträge: 52
Admin
(@admin)
Beigetreten: Vor 4 Jahren

Hallo und herzlich Willkommen im Forum!

Leider habe ich kein Patentrezept parat, aber vielleicht gibt ein Gedankenaustausch einige neue Ideen und Impulse?

Menschen mit Demenz haben das gleiche Recht auf Selbstbestimmung wie alle anderen und oft stimmen die Vorstellungen der Angehörigen von Sauberkeit und Hygiene nicht mit denen der Erkrankten überein.

Aus der Validation nach Naomi Feil kommt der Satz „Jedes Verhalten hat einen Grund“. Versucht man die Verhaltensweisen der Erkrankten zu verstehen, fällt es leichter, die Situation zu tolerieren und zu akzeptieren:

Im Verlauf der Krankheit verändern sich die Verhaltensweisen der Erkrankten, v.a. der Verlust der situativen Orientierung sowie der Verlust der Orientierung zur eigenen Person können dazu führen, dass die Bedeutung der Körperpflege sowie die Fähigkeit, alltägliche Dinge wie Seife und Kamm zu benutzen, verloren gehen.  Zur Demenz gehört auch das Vergessen von alltäglichen Selbstverständlichkeiten, so gehen die Betroffenen morgens ins Bad, um sich zu waschen, vergessen dort aber, was sie im Bad wollten. Genauso kann es mit der Kleidung sein: das Tragen der gleichen Kleidung über einen langen Zeitraum fällt den Betroffenen nicht auf, weil der Erkrankte meint, die Kleidung gerade heute frisch angezogen zu haben. Auch kann das Tragen der gleichen Kleidung ein Gefühl von Wohlbefinden und Sicherheit geben – wenn die Orientierung schwindet, sind Unsicherheit und Ängste die Folge. Das Schaffen von Routinen hilft den Erkrankten, dazu kann auch die gleiche Kleidung beitragen. Auch der Geruchsinn kann durch die Demenzerkrankung beeinträchtigt sein.

Schön ist es doch, dass sich Ihre Schwester in dem Pflegeheim wohl fühlt und das sie dort nicht zu Dingen gezwungen wird, die sie für sich ablehnt.

Als Vertraute können Sie Ihre Schwester vielleicht mit kleinen Tricks überreden, die Wäsche zu wechseln oder sich zu waschen. Versuchen Sie die Gründe für die Verweigerung herauszufinden, diese können allerdings sehr vielfältig sein. Hier einige Beispiele: vielleicht hat ihre Schwester früher immer samstags gebadet und die Dusche ist ihr „unheimlich“? Oder hängt im Bad ein Spiegel und Ihre Schwester erkennt ihr eigenes Spiegelbild nicht mehr? Dann fühlt sie sich vielleicht im Bad beim Auskleiden beobachtet. Eventuell fällt ihr das Waschen ohne Hilfe doch schon schwer, aber sie möchte keine Hilfe von "Fremden" (Pflegern) annehmen, da es mit Scham belastet ist? Dann würde eine vertraute Person vielleicht akzeptiert werden. Sie könnten den „Auswahlstress" beim Ankleiden reduzieren, indem Sie nur einige ähnliche (bequeme) Kleidungsstücke zurechtlegen (Leggins und Shirts). Sie könnten ihrer Schwester auch vorschlagen, doch einmal wieder ein bestimmtes Kleidungsstück zu tragen, das ihr doch so gut steht (Stärkung vom Selbstwertgefühl). Vielleicht war die Fußpflege schmerzhaft und wird deshalb abgelehnt?

Auch die Weigerung, die Tabletten einzunehmen, kann viele Gründe habe: das Verständnis fehlt, wofür die Tabletten gut sind, Angst vergiftet zu werden usw. Aber da der Arzt keine Rezepte mehr ausstellt, ist davon auszugehen, dass diese Medikamente nicht lebensnotwendig sind (sonst hätte der Arzt eine Zwangseinweisung verordnet). In dem Fall hilft es sich zu sagen, dass es zwar gut wäre, wenn Ihre Schwester die Medikamente nehmen würde, dass aber deren Effekt auch nur begrenzt ist.

Bleiben Sie entspannt und tolerieren Sie die momentane Situation. Meistens handelt es sich um Phasen, die vorüber gehen. Und vielleicht finden Sie auch den einen und anderen kleinen Trick, um Ihre Schwester zu überreden oder um zu motivieren.

Herzliche Grüße

Claudia Krack

Forums-Administration und Vorstandsmitglied der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V.

Antwort
Beiträge: 2
Themenstarter
(@chrissuma)
Beigetreten: Vor 3 Jahren

Hallo Frau Krack,

ganz herzlichen Dank für Ihre Antwort, die sehr wertvoll für uns ist. Lässt sie uns doch mit einem anderen Blick auf die Situation unserer Schwester schauen. Vor allem ruft uns Ihr Beitrag noch einmal ganz deutlich ins Gedächtnis, dass es am allerwichtigsten ist, dass sich unsere Schwester wohlfühlt und wir eben andere Maßstäbe anlegen müssen. Wir arbeiten an uns!

Herzliche Grüße!

 

Antwort
Teilen: